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Arzu und Gamze Kırtıl sind eines der erfolgreichsten Klavierduos ihrer Generation und für ihre außergewöhnlichen und innovativen Darbietungen vielfach ausgezeichnet worden. Zusammen mit Musikern von Weltrang interpretieren sie Orchesterwerke und Kammermusik und treten mit einem Ensemble für vier Klaviere auf. Ihr Repertoire umfasst neben barocken und klassischen Stücken auch Kompositionen des zwanzigsten Jahrhunderts und zeitgenössische Komponisten.

Die Zwillingsschwestern Arzu und Gamze wurden in Istanbul geboren und studierten zunächst am staatlichen Konservatorium Ankara bei Professor Tulga Cetiz, später bei Tatiana Pikaizen und Aysegül Sarıca. Nach ihrem Masterabschluss erhielten die Schwestern ein Stipendium für ein Studium im französischen Perpignan in der Klasse von Marie-Christine Guichot, das sie mit der Médaille d’Or abschlossen. Im Rahmen eines weiteren Stipendiums der französischen Regierung setzen sie ihre Ausbildung an der École Normale de Musique de Paris bei Germaine Mounier, einer der berühmtesten Lehrerinnen ihrer Zeit, fort. Sie erlangten das Diplôme Supérieur de Concertiste mit Empfehlung der Jury.

Ihren ersten Auftritt als Duo hatten die Schwestern 1993, als sie zusammen mit dem Orchester des Staatlichen Konservatoriums Ankara unter Hikmet Şimşek Mozarts Konzert in Es-Dur spielten. Während ihres Studiums in Paris beschlossen Arzu und Gamze, eine Karriere als Klavierduo zu verfolgen und ihre besondere Verbindung zueinander zu nutzen.

Das Duo wurde im 6. Médoc Aquitaine Klavierwettbewerb in Bordeaux mit dem ersten Preis ausgezeichnet und überzeugte ferner beim 10. Internationalen Wettbewerb für junge Pianisten in Rom. Seitdem sind die Schwestern als Duo in Frankreich, Italien, Russland, dem Vereinigten Königreich, Luxemburg, Österreich und der Türkei aufgetreten. Arzu und Gamze sind Liebhaberinnen der zeitgenössischen Musik, und so wurden mehrere Stücke eigens für sie geschrieben und ihnen gewidmet, etwa Three Pictures for Two Pianos von Maria Lord, dessen Ersteinspielung hier zu hören ist. Während der Kulturhauptstadt-Feierlichkeiten in Istanbul 2010 haben Arzu und Gamze das ihnen gewidmete Stück Teamwork I for four pianos von Wolfgang Gangkofner uraufgeführt.

Zu den namhaften Orten, an denen das Duo Kırtıl aufgetreten ist, zählen St. John’s, Smith Square, in London, die Smolny-Kathedrale in Sankt Petersburg, Aya Irini in Istanbul, die Philharmonie Luxemburg, der Wiener Saal in Salzburg und die Salle Cortot in Paris. Sie haben mit zahlreichen Orchestern, darunter dem Bilkent Sinfonieorchester, dem Staatlichen Sinfonieorchester Bursa, dem Präsidentiellen Symphonieorchester, der Philharmonia Britannica und dem CNR-Orchester Perpignan gespielt und mit berühmten Dirigenten wie Tadeusz Strugala, Juosaz Domarkas, Peter Fender, Daniel Tosi, Erol Erdinç, Işın Metin und anderen zusammengearbeitet.

Die Schwestern, die zwischen Luxemburg und Ankara pendeln, jagen von einem Auftritt zum nächsten und sind mit spannenden Projekten in Festspielen und Veranstaltungen eingebunden. Neben ihrer Karriere als Konzertpianistinnen sind Arzu und Gamze Kırtıl gefragte Klavierlehrerinnen, die regelmäßig Masterkurse abhalten und in Musikschulen überall in der Türkei unterrichten.

 

Frédéric Chopin Rondo in C-Dur, Op. 73

Dies ist das einzige Werk für zwei Klaviere aus der Feder von Frédéric Chopin (1810-49), einem der bekanntesten Klavierkomponisten aller Zeiten. Obwohl es die späte (und posthume) Opusnummer 73 trägt, schrieb Chopin es als ganz junger Mann, als er noch am Konservatorium in Warschau studierte. Das Rondo in C-Dur für zwei Klaviere schrieb Chopin 1828, zwei Jahre nach seinem Eintritt in das Konservatorium im Jahr 1826. Der junge Chopin war in den zwei Jahren selbstbewusster geworden: Er schrieb nicht nur seine ersten Kompositionen für Orchester, sondern hatte sich auch ein Herz gefasst und seine ersten Werke an Verlagshäuser geschickt in der Hoffnung, sie würden veröffentlicht. Den Sommer 1828 verbrachte Chopin in einem großzügigen polnischen Landhaus, wo er an seinem Rondo arbeitete, und so ist dieses Werk durchzogen von einem Gefühl von Jugend und Sommer. Geschrieben ist das Stück in einer losen Rondoform mit einem leichten trippelnden Triolenthema, Arpeggio-Triolen und langen Sechzehntelpassagen, die geschickte Fingerarbeit erfordern. All dies wiederholt sich, bevor das Stück nach virtuosen Läufen und Arpeggien zu einem jähen Ende kommt.

 

Maurice Ravel Rapsodie espagnole

Zwischen 1895 und 1897 schrieb der junge Komponist Maurice Ravel (1875-1937) zwei Werke für vier Hände, die zusammen den Titel Sites auriculaires tragen. Eines hiervon ist Habanera, das rund zehn Jahre später, 1907-1908, als Teil der Orchestersuite Rapsodie espagnole wieder in Erscheinung treten sollte. Das Werk ist zwar vor allem in der Orchesterversion bekannt, doch komponierte Ravel es ursprünglich für zwei Klaviere. Ravel wurde in Ciboure im Baskenland nahe der spanischen Grenze geboren und kam schon in jungen Jahren durch seine Mutter, die in Madrid aufgewachsen war, mit diesem Land in Berührung. Wie Manuel de Falla bemerkte, war er Zeit seines Lebens von Spanien fasziniert, was de Falla als 'subtil-echtes Spanischtum' bezeichnet. Die vier Sätze der Rapsodie espagnole beginnen mit einer Anspielung auf die Geräusche und Empfindungen der einbrechenden Nacht, und die Annahme liegt nahe, dass dies de Falla inspiriert hat, ein Jahr später mit der Arbeit an seinen Noches en los jardines de España zu beginnen. Anschließend erklingen die spanischen Tanzrhythmen Malagueña und Habanera, wobei Ravel letztere besonders liebte, bevor das Stück mit einer ausgelassenen Darstellung von Feria-Feierlichkeiten schließt.

 

Dmitri Schostakowitsch Concertino in a-Moll für zwei Klaviere, Op. 94

Der sowjetische Komponist Dmitri Schostakowitsch (1906-75) schrieb dieses Stück 1953, dem Jahr, in dem er auch seine 10. Symphonie fertigstellte, und dennoch herrscht in dem Concertino eine gänzlich andere Atmosphäre als in dem schmetternden Orchesterwerk. Mit seinem eindeutig diatonischen Stil rückt das Concertino von der Komplexität früherer Preludien und Fugen (1950–1951, Op. 87) ab und hält sich an eine recht konventionelle Sonatenform in a-Moll. In einem langsamen Intro alternieren mächtige punktierte Rhythmen mit gedämpften Chorälen, um in ein Allegretto überzugehen, das kennzeichnend für das Spielerische des übrigen Stücks ist. Im weiteren Verlauf des Werks werden die Chorpassagen wiederholt, steigern sich abermals zu einem Allegretto und gipfeln rasanten Tempos in einem aufgewühlten Abschluss. Wie berichtet wird, schrieb Schostakowitsch sein Concertino und sein wenig später komponiertes Zweites Klavierkonzert (1957, Op. 102) im Hinblick auf junge Pianisten, wenngleich solche, die technisch bereits versiert sind. Die Leichtigkeit der beiden Werke führt manch einer auf Stalins Tod im Jahr 1953 zurück. Denkbar ist jedoch ebenso, dass er Stücke für seinen Sohn Maxim schreiben wollte, dem sowohl das Concertino als auch das Zweite Klavierkonzert gewidmet sind.

 

Fazıl Say Wintermorgen in Istanbul

Fazıl Say (geboren 1970) ist ebenso wie Arzu und Gamze Kırtıl ein ehemaliger Student des Konservatoriums seiner Heimatstadt Ankara. Say ist als Pianist international renommiert und macht sich immer mehr auch als Komponist einen Namen, da er Stücke für eine Vielzahl von Ensembles sowie für die Kommissionen der Festspiele in Schleswig-Holstein und Salzburg schreibt. Charakteristisch für seine Musik sind traditionelle türkische Klänge, die entweder durch die Wahl der Instrumente oder wie hier durch den Einsatz einer türkischen Volksweise erzeugt werden. Wintermorgen in Istanbul (2012) für vier Hände, dessen Ersteinspielung hier vorliegt, beginnt mit einer Technik, die Says Stück Black Earth (1997) entlehnt ist. Dabei benutzen die Pianisten ihre linke Hand, um die Klaviersaiten zu dämpfen und so den Klang einer türkischen Zupflaute (Saz bzw. Oud) zu imitieren. Die Hauptmelodie ist eher fließend und wird begleitet von steigenden und fallenden Arpeggien, die mit der Technik aus Black Earth kombiniert werden, bevor die Ruhe des Istanbuler Morgens von lauten, mit kantablen Passagen durchsetzten Oktaven und Sekunden durchbrochen wird. Nach einer Wiederholung des Eröffnungsthemas endet das Stück mit einer spärlichen, ruhigen Coda.

 

Witold Lutoslawski Wariacje na temat Paganiniego (Variationen über ein Thema von Paganini für zwei Klaviere)

Dies ist ein Frühwerk des polnischen Komponisten Witold Lutoslawski (1913-94), das sich deutlich von den nachfolgenden, wohl bekannteren Kompositionen unterscheidet, die durch aleatorischen Kontrapunkt und 12-Ton-Harmonien geprägt sind. Dieses Stück entstand 1941, am Ende der Vorkriegsschaffensperiode des Komponisten, in der er stark von volkstümlicher Musik beeinflusst war. Während der deutschen Besatzung Warschaus war das musikalische Leben in der polnischen Hauptstadt sehr eingeschränkt und das Überleben als Komponist nahezu unmöglich. Zusammen mit seinem Komponistenkollegen Andrzej Panufnik gründete Lutoslawski ein Klavierduo. Die beiden Komponisten traten in den Warschauer Cafés auf, wo sie ihre eigenen Arrangements und Kompositionen darboten. Bei der nahezu vollkommenen Zerstörung Warschaus am Ende des Krieges wurden auch diese Werke vernichtet. Erhalten sind einzig die Variationen über ein Thema von Paganini. Das bekannte Thema aus Paganinis 24 capricci Op. I ist überall in den Variationen für zwei Klaviere erkennbar, wird jedoch zunehmend fragmentiert, bevor es gegen Ende des Stückes auf eindrucksvolle Weise wieder in Erscheinung tritt. Wenngleich es lange vor Lutoslawskis radikaleren experimentellen Stücken geschrieben wurde, die ab den 1950er Jahren entstanden, lassen sich bereits hier einige dieser späteren Themen erkennen, etwa die Nebeneinanderstellung von Chromatismus-Passagen und das gehäufte Auftreten bestimmter Intervalle und Gefüge.

 

Maria Lord Three Pictures for Two Pianos

Die Komponistin Maria Lord (geboren 1969) stammt ursprünglich aus England, studierte in Leeds und London und lebt heute in Wien, Österreich. Dies ist die Ersteinspielung von Three Pictures for Two Pianos (2011), eines Stücks, das Lord eigens für Arzu und Gamze Kırtıl schrieb. Wie im Titel bereits angedeutet, ist jeder Satz des Werks dazu bestimmt, ein Bild vor dem inneren Auge des Zuhörers heraufzubeschwören. Dabei vermied die Komponistin stereotype Etikettierungen und überlässt stattdessen dem Zuhörer die Entscheidung, welche Bilder der Musik am gerechtesten werden. Das Stück beginnt mit einem lauten Tremolo, das mit schweren Blockakkorden und Arpeggiopassagen durchsetzt ist, bevor ein glockenähnlicher Abschnitt zu einer langen, ruhigen Coda überleitet. Bild II ist gekennzeichnet durch Triller und Ornamente vor dem Hintergrund langer, melodischer Passagen, während in dem lebhaften dritten Satz schnelle Läufe aus Sechszehntelnoten Farbexplosionen gegenübergestellt werden, bevor das Werk in einem frenetischen Schlusswalzer endet.

 

Camille Kerger Ausklänge

Camille Kerger wurde 1957 in Luxembourg geboren und studierte zunächst Posaune, Gesang und Komposition in Luxemburg und Metz, bevor er seine Gesangsausbildung an den Musikhochschulen Mannheim und Düsseldorf fortsetzte. Er arbeitet nicht nur als Posaunist mit mehreren Orchestern zusammen, sondern tritt auch als Tenorsänger in Konzert- und Opernhäusern in Luxemburg und anderswo auf. Derzeit ist er Direktor des INECC (European Institute of Choral Singing). Bekannt wurde er jedoch vor allem durch seine Kompositionen, die von Opern und Bühnenstücken bis hin zu Kammermusik und Liedern reichen. Der Titel dieses Werks für vier Hände, Ausklänge (1988), suggeriert das Ende oder Dahinsterben von Dingen, gleich immer leiser werdenden Glocken, eben deren Ausklingen. Dieses Thema zieht sich durch das gesamte Stück, beginnend mit lauten und lauter werdenden Achtel- und Sechzehntelpassagen, gefolgt von Abschnitten, die mit lasciare vibrare (klingen lassen) gekennzeichnet sind und sich zu delikaten Klanggebilden steigern. Darauf folgen wiederum Achtel- und Sechzehntelnoten, bevor die Musik mit erneut glockenähnlichen Abschnitten in ein kaum wahrnehmbares Ende versinkt.